#9 Ich WUSSTE, dass Du das schaffst!!!

 

 

Kennt Ihr das?

 

Man versucht stark, tapfer, mutig, geduldig, un-jammerig und selbständig zu sein... und die Welt schließt daraus, dass es so schlimm nicht ist.

 

Ich finde es ein Phänomen bei Krebs, dass exakt DIE Leute, die am allerwenigsten beigetragen haben. Die Leute, die fein weggeblieben sind und am wenigsten Interesse gezeigt haben. Dass also die Leute, am allerschlechtesten beurteilen können, wie es mir ging und die am allerwenigsten daran interessiert sind zu verstehen wie es war... dass DIESE Leute den Mund am lautesten aufreißen und am allerbesten zu wissen glauben, was gut für mich ist, was ich leisten kann - und was nicht.

 

 

"Ich wusste, dass Du das schaffst."

"Aber es ist doch jetzt vorbei."

"Denk nicht mehr daran."

"Schau nach vorne"

usw...

 

Ich könnte jedesmal einen Wutausbruch hinlegen, wenn das mal wieder irgendwer sagt, der es nichtmal für nötig befunden hat mir eine email zu schicken, als ich krank war. Jemand, der keine Socken gestrickt, keine Blumen geschickt und keinen Fahrdienst angeboten hat. Der mich nicht besucht und der bei der "Es ist Krebs" Nachricht nicht geheult hat. Auch keiner von denen die aus Ratlosigkeit oder Angst geschwiegen haben, weil Ihnen alles falsch vorkam oder ihnen die Worte fehlten.

 

Kurz: Sowas sagen zu mir mit Vorliebe irgendwelche flüchtigen Bekannten, denen ich letztlich völlig egal bin - und sie glauben dann, das sei freundlich.

 

Nun. MICH freut es NICHT.

 

Nicht nur, dass sie nicht ermessen können WIE scheußlich es war - DAS kann sowieso keiner, der es nicht erlebt hat. Aber sie wollten es ja nicht mal VERSUCHEN zu verstehen. Wollten nicht einmal WISSEN, wie es mir ging. Sie wollten die Glatze nicht sehen und nicht das Kortisongesicht. Die Blässe nicht und die Augenringe wie frisch gestorben. Die Haut, die ich so eklig fand. Sie wollten nicht wissen, dass ich nicht allein bis zum Klo kam, dass ich zu schwach war, um zu duschen oder die Wohnung zu verlassen und dass ich mich immer wieder fragte, ob ich nicht lieber sterben wollte als noch einen einzigen Tropfen von diesem Teufelszeug zu ertragen. Sie wollten den Eimer nicht spülen, wollten den Notarzt nicht rufen, wollten die Taschentücher nicht holen, wollten nicht auf Krankenhausfluren meine Hand halten. Sie hatten was besseres zu tun, als mich abzulenken, für mich Bananen zu holen, oder zum fünftausendachthundertsiebenundzwanzigsten Mal mit mir zu überlegen, was um Himmels Willen zu tun sei?

 

Wollten sie nicht? - Das kann ich gut verstehen. Es muss nämlich ätzend gewesen sein, an meiner Seite. Richtig, richtig ätzend. Es hat ganz bestimmt keinen Spaß gemacht für mich dazusein, während ich durch die Hölle ging. Sie hatten keine Lust dazu - also waren sie woanders.

 

Naja, das waren flüchtige Bekannte, richtig? Was hatten SIE mit meinem Krebs am Hut? - "Also, Ugin, DAS musst Du nun aber doch verstehen!!!"

 

Klar!!!  Verstehe ich total!! Sie waren mir nichts schuldig, ich hatte nicht erwartet, dass sie was anderes tun. Ehrlich nicht. Alles Prima.

 

Nur:

 

SIe haben nicht mal versucht zu ermessen, wie es mir ging. Weil sie es nicht wissen wollten. Aber JETZT wollen SIE MIR sagen was wie leicht oder schwer war, wie machbar oder unmachbar, wie traumatisch oder halb so wild? SIE wollen MIR sagen, was ich denken und fühlen, tun oder lassen und wie ich damit umgehen soll?

 

Auf welcher GRUNDLAGE denn bitteschön????? Ihnen fehlen doch jegliche Informationen????!!!!

 

Ich empfinde es als Anmaßung, als ein Zeichen von Arroganz sich einerseits nicht antun zu wollen, wie es mir ging - aber mir andererseits JETZT, wo ich es ohne sie durchgestanden habe - mit irgendwelchen Lebensweisheiten und Ratschlägen auf unterem BILD-Zeitungsniveau zu kommen!!!!!

 

Die Wahrheit ist, dass ICH nicht wusste, ob ich es schaffe, dass mein Mann nicht wusste ob ich es schaffe. Und daher glaube ich, dass jeder von denen, der locker-flockig behauptet es gewusst zu haben ohne irgendwas wissen zu wollen in Wirklichkeit nur eins weiß: Er will von mir hören, dass alles gut ist, um das Thema abzuhaken.

 

Tja. Leute, die Ihr DAS wollt. Ich hab da ne schlechte Nachricht für Euch: Ich hab eben geschrieben, dass Ihr mir nichts schuldig seid, erinnert Ihr Euch? - Nun. Das war mein Ernst. Ich finde nicht, dass Ihr Euch damit befassen müsst, wie es war. Braucht Ihr nicht. Völlig okay. Die Sache hat allerdings auch eine Kehrseite. ICH schulde EUCH nämlich auch nichts.

 

Ihr wollt, dass ich Euch erzähle, dass alles gut ist? Dass ich für Euch lächele wenn mir zu heulen ist und lüge, wenn Euch die Antwort nicht gefällt? Ihr wollt, dass ich die Nachwirkungen der Chemotherapie verschweige, Panikattacken bagatellisiere und Risiken leugne? Wollt, dass ich für Euch Perücke und Make-Up, Lügen, Beschönigungen und Friede-Freude-Eierkuchen-Sprüche zur Wahrheit erkläre?

 

Tja. Wenn Ihr das wollt, dann habt Ihr Pech. Denn ebenso wie es EUCH keinen Spaß gemacht hat Euch meinen Krebs anzutun, macht es MIR keinen Spaß Euer Heile-Welt-Getue mitzuspielen. Und ebensowenig wie Ihr dieses für mich getan habt, werde ich jenes für Euch tun. 

Ich werde nicht für Euch lügen, werde nicht für Euch grinsen und werde nicht "halb-so-wild" sagen, nur damit Ihr Euch einreden könnt, alles sei gut.

 

Warum sollte ich?

Ihr wollt mir nur helfen? - Fein. Dann ertragt die Wahrheit. DAS finde ich hilfreich.

Ihr wollt mir NICHT helfen? - Auch gut. Dann werdet Ihr sicherlich verstehen, dass ich auf Euch auch keine gesteigerte Rücksicht nehme.

 

 

 

Ich bin neulich gefragt worden, wie ich reagiere, wenn jemand findet nun sei denn mal genug mit dem Krebs. Ich solle nach vorne schauen und all das hinter mir lassen?

 

 

Nun, es ist sehr unterschiedlich, wie ich darauf reagiere. Manchmal reagiere ich gar nicht. Manchmal verweise ich auf mein Blog. Manchmal sage ich, dass ich nicht darüber reden will. Manchmal sage ich "jaja". Manchmal erkläre ich, dass das so einfach nicht ist und für den absoluten Notfall hab ich noch die Antwort, dass ich dieses Thema gern mit demjenigen diskutiere - sobald ER ne fette Chemo ertragen hat und mitreden kann.

 

Die Frage, wie ich auf sowas reagiere, ist nicht allgemein zu beantworten. Ich reagiere sehr unterschiedlich je nach Stimmung und je nachdem wer mir gegenüber sitzt.

 

Ich reagiere sehr unterschiedlich, aber EINS tue ich nie: Ich höre nie auf solche Ratschläge.