#4 Vom Umgang mit Angst...

 

 

 

Ich habe vor allen möglichen Dingen Angst und die allermeisten sind völlig idiotisch.

 

Ich habe Angst, dass Trump uns alle in einen Weltkrieg reißt und Angst mein Zugticket zu verlieren. Ich habe Angst Geld zu verschwenden, was ich noch nötig brauchen werde und ich habe Angst mit einer unbedachten Äußerung jemanden zu kränken. Ich habe Angst das Soßenrezept meiner Mutter nicht richtig nachgekocht zu bekommen. Habe Angst etwas zu verpassen. Angst, dass meine Gitarre nicht mehr klingt, weil ich sie fallengelassen habe... Angst vor den Ärzten, Angst vor dem Autofahren, Angst vor der Zukunft... Angst, Angst, Angst...

 

Nun habe ich das immer für einen Makel gehalten, bis ich festgestellt habe, dass viele wenn sie Angst haben nichts weniger ertragen als jemanden, der keine Angst hat. Und so machen die 5000 kleinen Ängste mich plötzlich zu so einer Art alter Häsin... beim Thema "Umgang mit Angst".

 

*Oh*

 

Umgang mit Angst, Ugin, wie machst Du das?

 

Nun. Es ist simpel:

Ich bin K E I N Anhänger der These, dass man der Angst keinesfalls nachgeben darf.

Ich glaube nicht, dass man sich seiner Angst entgegenstellen muss um sie zu überwinden.

Ich finde nicht, dass wer die Dinge meidet, vor denen er sich fürchtet ein Weichei und elender Feigling ist. Und ich bin der Überzeugung, dass es keinen Zweck hat zu versuchen die Angst loszuwerden. Ob nun durch Verdrängung oder Schocktherapie. Die Angst wird bleiben. Was immer wir tun.

 

Ich habe lange Zeit geglaubt, es gebe ein Mittel gegen Angst. Habe versucht der Angst nicht die Herrschaft über mein Leben zu geben. Habe mich bemüht, die Dinge trotzdem zu tun und die Angst zu ignorieren und so wurde die Angst schlimmer und schlimmer und schlimmer.

 

Sie wurde schlimmer bis ich zu nichts mehr Lust hatte. Schlimmer, bis ich nur noch im Nebel sitzen und nichts tun wollte. Soooooo friedlich hier... und so beschloss ich irgendwann der Angst nachzugeben. Ich war doch sowieso verrückt, daran änderte es auch nichts wenn ich die Angst ertrug, also wozu? Wenn es das doch MIR nicht wert war, für wen sonst hätte ich die Angst ertragen sollen? - Eben. Ab sofort würde ich tun, was die Angst mir riet. Punkt.

Jeder dem ich das damals SO erzählt habe, hat gebrüllt das sei eine grauenhafte Idee. Ich müsse weiterkämpfen, müsse die Angst besiegen, dürfe nicht aufgeben, dürfe..., müsse... aber soll ich Euch was verraten?

Die Angst kam doch aus mir. Und so war das was da "NEIN!!!!! ANGST!!!!!" gebrüllt hat, eben auch ein Teil von mir. Und als ich erstmal die Dinge gelassen habe, die mir solche Angst machten... da konnte ich wieder selbst entscheiden. WILL ich das? Auf die Angst hören? Oder will ich es nicht? Will ich mich schlotternd unterm Bett verkriechen (eigentlich ganz gemütlich da) oder will ich es nicht?

Und die Antwort war manchmal "ja" und manchmal "nein" denn wir sind hier nicht im Märchen wo die Antwort "Und Ugin überwand die Angst und schaute nie mehr zurück" gelautet hätte.

 

So habe ich es gemacht.

Damals.

Es ist lange her. Fast schon nicht mehr wahr...

 

Aber jetzt, wo der Krebs gekommen ist, stelle ich fest, dass diese Sichtweise, dass man die Angst auch ernst nehmen darf, total gut ankommt. "Ich darf so nicht denken" "Ich muss doch stark sein" "Meine Ängste sind Quatsch" ich höre es überall. Ich höre es - und es erstaunt mich - weil ich immer gedacht habe DAS seien nun WIRKLICH berechtigte Ängste. - Wer bitte hat keine Angst vor dem Tod, keine Angst vor Schmerzen oder Krankheit?

 

DAS sind doch nun WIRKLICH ECHTE Gründe Angst zu haben, denn DEM kann man NICHT entgehen und es gibt KEINEN "Wenn ich nicht will, lasse ich es halt sein" Ausweg... Und wenn ich in so einer Situation das sage, was mir jahrelang die nur Antworten im Sinne von "Reiß Dich zusammen!!!" oder "Stell Dich Deinen Ängsten und bekämpfe sie!!!!" gebracht hat -

 

Nämlich, dass die Angst ein Teil von uns ist.

 

Dass wir alles Recht haben Angst zu haben, wenn es beängstigend IST.

 

Dass verdrängen nicht hilft, weil die Angst unsere innere Stimme ist... Die wir ernst nehmen dürfen. Und uns fragen, was wir TUN wollen - im Fall der Fälle? Wie wir leben wollen? Und wie wir sterben wollen? Ob und wie und wann und was wir dafür zu tun bereit sind?

 

Wenn ich DAS also sage...

 

Dann soll das jetzt plötzlich klug, einfühlsam und was weiß ich was sein...

 

Dabei sind es die selben Gedanken, die früher falsch, krankhaft und "Du musst die Angst überwinden!!!!" waren.

 

Ich verstehe es nicht...

 

Verstehe die Welt weniger denn je, was insofern lustig ist, als sie sich von mir besser verstanden fühlt, denn je...

 

Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Heute wollte ich vom Umgang mit der Angst erzählen. Angst zu Sterben. Wir haben alle Angst vor dem Sterben glaube ich - jedenfalls ist mir noch niemand begegnet, dem ich abgekauft hätte, dass ers nicht hat.

 

Und wir müssen alle damit leben und ich persönlich lebe mit dieser Angst besser, wenn ich sie ernst nehme. Wenn ich sie nicht leugne, verdränge, wegschiebe - sondern annehme und akzeptiere, dass es so ist.

 

Fakt ist: Ich habe Angst vor dem Sterben.

 

Nichts zu machen. Und ich behaupte, dass jeder der "Du brauchst keine Angst zu haben." sagt, lügt. Schließlich ist er auch noch nie gestorben und weiß demnach auch nicht wie es sein wird und was danach kommt.

 

So siehts aus. Punkt.

 

Angst vor dem Sterben ist da und geht nicht weg? 

 

- Okay, dann nehmen wir sie doch mal ernst. Was weiß ich denn und was KANN ich denn tun? 

- Also...

Vorsorge, Nachsorge, Check-Ups. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Testament, Angehörige für meine Wünsche  sensibilisieren... Ich kann mich schlau machen und gut informiert, eigenverantwortlich Entscheidungen treffen. Ich kann mein Leben in meine eigenen Hände nehmen und mir klar machen, was ich will - und was nicht. Kann versuchen DAS umzusetzen und DAFÜR zu planen... Im Leben - wie im Tod.

 

DAS kann ich tun. - Eigentlich gar nicht soooooooo wenig, oder? - Nicht NICHTS jedenfalls... Also, dann los...

 

- Und wenn ich das alles tue, DANN kommt bei mir irgendwann der Punkt - da bin ich es leid. - Ich habe keine Lust mehr mich durch nochmal tausende von Informationen zu wühlen, um noch ein kleines bisschen besser vorbereitet zu sein. Ich weiß es doch alles. (Mich hat neulich ein Arzt gefragt, ob ich Medizinerin bin, weil ich die Informationen zu meinem Tumor runterrasseln konnte - dabei hatte ich nur an der Oberfläche gekratzt und noch nicht einmal richtig ANGEFANGEN auszuspucken, was ich mir angelesen hatte. Und Patientenverfügungen sind jetzt nun WIRKLICH meine Spezialität. Und...) Und es hilft ja doch alles nichts. Es wird nicht mehr besser. Nichts zu machen. Was die Zukunft bringt, kann mir keiner sagen und auch der 500. Artikel zu Thema Krebs wird mir diesbezüglich nichts wesentlich neues mehr mitteilen. Es reicht. Und dann lasse ich manchmal das recherchieren und mache in der Zeit etwas anderes.

Etwas wozu ich Lust habe.

Weil ich nicht tot bin.

Jetzt.

Heute.

Und hier.

Mit Menschen, die mich mögen.

Jetzt.

Heute.

Und hier.

 

Weil wir am Leben sind. Jetzt. Heute. Und hier.

 

Und so kommt manchmal der Punkt, an dem ich plötzlich auch wie John Green denke: "If the inevitability of human oblivion worries you, I encourage you to ignore it. God knows that's what everyone else does."* und es geht wunderbar mit dem Verdrängen der Sterblichkeit und ich habe gar keine Angst, bin viel zu beschäftigt mit dem Leben... Bis mich etwas erschreckt, etwas Altes, was ich EIGENTLICH längst weiß, oder etwas Neues, worüber ich nicht aus dem Stehgreif einen zweistündigen Vortrag halten könnte - und ich stürze zum Laptop und lerne das Internet auswendig, nerve die Ärzte und plane für den Ernstfall... und so weiter ... und so weiter... und so weiter...

 

Ist das klug?

empfehlenswert?

vernünftig?

 

Keine Ahnung. Es ist jedenfalls das was ich tue. Und es gefällt mir besser als kreischend im Kreis zu laufen oder Alpträume zu haben. Besser als "Sie brauchen keine Angst zu haben"- Sprüche von Leuten, die es auch nicht besser wissen als ich (nur so tun) und besser als das milde Lächeln von Psychologen, die dafür bezahlt werden mir zuzuhören und dabei milde zu lächeln. 

Solange mir also nichts besseres einfällt, mache ich das so. Das ist alles...

 

Es ist nicht perfekt, aber das Beste, was mir bisher eingefallen ist...

 

 

Manchmal denke ich an den Abenteurer bei Walter Moers**, der seinen Tod als lästige Pflicht rasch hinter sich bringen wollte, um das Leben danach frei von solchen unschönen Details genießen zu können. Ach ja. DAS wäre auch was für mich. Einmal die Zähne zusammenbeißen und dieses blöde lästige Sterben rasch abarbeiten um danach zum gemütlichen Teil übergehen zu können. DAS wär's.

 

Nix zu machen.

 

Da müssen wir durch...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das wärs eigentlich von meiner Seite für heute...

 

Ach so, ja.

 

Schöne Weihnachten. Ehrlich. Wünsche ich Euch. Gerne auch klassisch, wenn Ihr sowas mögt, mit Schnee, Familie, gutem Essen und allem was Ihr Euch sonst noch so wünscht.

 

Viel Spaß!!!!!!

 

Ich? - Nein, ich bleib dieses Jahr hier in meiner Nebelhöhle... Seht mal, der Weg ist doch schon bei normalem Wetter kaum passierbar. Was glaubt Ihr, wie es bei Glatteis ist? Ich hab mich hier vor ein paar Tagen schon übel auf die Nase gelegt... das versuche ich dieses Jahr nicht nochmal.

 

Also feiert schön und genießt das Fest... Wenn der Weihnachtsmann bei Euch nach mir fragt, gebt die Adresse nicht raus, okay? Mich hat keiner vergessen. Ich bin nicht traurig, weil keiner mit mir feiert. Ich hab mich hier verkrochen, brauche nichts und habe mit Mühe alle Einladungen abgesagt, weil es nur wieder zu Stürzen führt, wenn ich vor die Tür gehe...also macht Euch gaaar keine Sorgen um mich, okay? Dass hier kein Weihnachtsbaum und kein Rentierschlitten sind, ist Absicht.

Alles gut.

 

Feiert schön!!!!

 

Aber falls es mal wieder nicht klappt mit dem ignorieren, falls Ihr Angst habt, falls sich keine Feierlaune einstellt, falls Ihr im Nebel feststeckt oder falls Euch zum Davonlaufen ist, während in Euren Ohren die 5000. Wiederholung von "Jingle Bells" wiederhallt: DANN wisst Ihr ja wo ihr mich findet. - Dort gaaaaaaanz hinten das kleine Licht im Nebel. Das bin ich. - Und hier bei mir haben Weihnachtsbäume und Nikoläuse Hausverbot. Lametta und Partystimmung kommen nicht durch die Tür. Hier klingelt kein Glöckchen, es singt keiner Weihnachtslieder, es gibt keine Plätzchen und keine Gans. Ich habe keine Lichterkette aufgehängt und keine Geschenke eingewickelt. Hier gibt es nur Suppe, Tee und Nebelgeschichten am Kamin. Sonst nichts.

 

Ob Ihr was mitbringen sollt, fragt Ihr?

 

- Schlechte Laune. Fehlende Weihnachtsstimmung. Und das Bedürfnis erst wieder vor die Tür zu gehen, wenn der ganze Spuk vorbei ist. Kann man zu Weihnachten nie genug von haben finde ich...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

* (John Green, The fault in our stars)

** (Walter Moers: Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär)