#3 Von großer Literatur, eigenen Worten, vom Reden und vom Schweigen

Ich bin neulich gefragt worden, warum ich eigentlich schreibe. Ob es eine "Notwendigkeit zum Leben" sei?  - Ich wünschte es wäre so einfach...

 

 

Als Kind fand ich schreiben doof. Meine Schwester erzählte immer schöne Geschichten, meine Großtante schrieb und illustrierte niedliche Kinderbücher und alle sagten "Ohhhh wie hübsch!!!" ... nur ich - ich hatte nichts zu erzählen.

 

Nichts hübsches jedenfalls und wer will schon lesen was Zehnjährige für Schimpfwörter kennen? Was sie über Nebel denken - über Mobbing oder über den Tod? - Eben. Kein Mensch. "Ugin, sag doch SOWAS nicht..."  Und so sagte und schrieb ich "sowas" nicht... Ich rotzte die Aufsätze in der Mittelstufe hin, als wir schönes Schreiben lernen sollten... Eine aus meiner Klasse - ja DIE konnte schreiben... SIE würde Journalistin werden... oder Schriftstellerin... ICH ? ... nein... ich konnte sowas nicht...

 

ICH konnte sowas nicht, denn ICH hatte ja nichts zu sagen. Nichts als Nebel in meinem Kopf. Keine Pläne, keine Ziele. Und die Träume... ach... DAS ging ja doch alles nicht... Nicht zu haben. Sowieso.

 

Wenn ich sagte, was ich dachte / was ich wollte - dann machte das nur die Menschen traurig und verstörte sie.  Und sie wollten mir dann helfen und sie zerrten doch nur an mir herum, weil "Denk sowas nicht" und "Rede nicht so einen Stuss" und "Sei doch nicht so" mich eben auch nicht zu dem glücklichen Mädchen machten, das sie alle so gern gehabt hätten. Sondern es machte mich nur noch einsamer, noch komischer, noch nachdenklicher.
Und so half es alles nichts: Etwas passendes, angemessenes, sinnvoll-erwünscht-angebrachtes hatte ich nicht zu sagen, ICH hab nichts als Nebel im Kopf...

Und wer nichts zu sagen hat: Nun, der schreibt auch nichts. Leuchtet ein.

 

Ich schrieb also nichts - aber ich las in meiner Jugend. Las alles was mir unter die Finger kam, las in jeder freien Minute... las die Klassiker aus dem großen Bücherregal meiner Eltern: Goethe, Kafka, Rilke, Thomas und Klaus Mann. Ich las Orwell, Huxley und wie sie alle heißen... Ich liebte sie und ich las sie wieder und wieder, war der Meinung man dürfe nur Bücher zitieren, die man mehrfach gelesen hatte. Ich fand man müsse Zitate im Kopf haben um sie zu verwenden, meinte nachschlagen sei was für Dilettanten... Noch heute kann ich passagenweise die Buddenbrooks oder Faust aufsagen, kann Zauberlehrling, Erlkönig und was nicht alles auswendig... und alle sagten "intellektuell" dazu, "intelligent" oder sonst was tiefgreifendes. Danke, sehr schmeichelhaft, aber ich hab das nicht getan um irgendwen zu beeindrucken oder klug daherreden zu können.

 

Warum dann?

 

Nun, ich hab es getan, weil ich das Gefühl hatte, es sei ein Stück Wahrheit in den großen Werken, die man nur in der Literatur mögen durfte. Wenn ich in meinen eigenen Worten zugab traurig, depressiv und ratlos zu sein, war das Drama groß. Viel Geschrei, viel "Da muss man doch was tun!" wenig Lösungen. - Ich war sie leid diese klappenden Unterkiefer, wenn ich mal wieder was destruktives gesagt hatte. Ich war sie müde diese "Denk positiv" oder "Du musst doch irgendwas wollen" Sprüche. Ich mochte sie nicht mehr hören. Naja, dann sagte ich halt nichts destruktives mehr...

 

...oder besser gesagt: - FAST nichts... Denn es ist eins der Wunder der großen Autoren ist, dass man SIE immer zitieren darf, ohne dass sich irgendwer Sorgen macht... 

Ich sagte "Bericht an eine Akademie" wenn man nach meinem Lieblingstheaterstück fragte (selber Schuld, wer nicht weiß, dass das ein Stück von Kafka ist, das davon handelt, dass man "eigentlich" besser den Mumm aufbrächte sich umzubringen).

Ich sagte "Schöne neue Welt, die solche Bürger trägt" (Pech, wer "Brave new world" nicht gelesen hatte), ich sagte "Klaus Mann" auf die Frage nach dem Lieblingskünstler (der bekanntlich an der Welt verzweifelt ist...), ich schleppte Kafkas Verwandlung herum, die bekanntlich...

 

Kurz gesagt, ich sagte "Nichts" - Ich ließ die großen Autoren für mich reden. - Und ich hörte nicht mehr, ich solle sowas nicht denken, so nicht reden, solle anders sein... Statt dessen fand man mich belesen und gebildet. - Was sollte schließlich dagegen sprechen Thomas Mann oder Rilke zu lesen? - Eben.

 

Ich höre immer es sei die rosarote Brille wenn ich so rede, trotzdem ist es die Wahrheit: ALLES änderte sich, als ich meinen Mann kennen lernte.

Und zwar, weil er NICHT fand, ich solle "aufhören SO zu reden"... Statt dessen wollte ER hören, was ich zu sagen hatte und lesen, was ich schrieb... DAS war ein Grund und daher begann ich selbst zu schreiben...

 

Ich schrieb düstere Kurzgeschichten und ich las. Inzwischen hatte ich angefangen selbst eine Meinung zu haben, was "Literatur" war und was nicht, welche Autoren ICH zu den "großen" zähle und so standen bei mir Sibylle Berg, Christian von Aster und Martin von Arndt zwischen Erich Fried, Rilke, Goethe und Thomas Mann. Dies war MEIN Bücherregal, da entschied ICH was "Kunst" war. Brauchte ja niemand zu teilen diese Meinung.

Hier in meinen vier Wänden, ist DAS Kunst.

 

Wer meine Kurzgeschichten aus der damaligen Zeit liest, sollte sie entweder für komplett erfunden halten - oder starke Nerven haben. Ich habe sie nicht vielen Menschen zu lesen gegeben und von den wenigen waren die meisten schockiert... Denn EINS hatten meine Geschichten nie. - Ein happy end. Normalerweise war die Heldin am Ende tot oder schlimmeres...

Aus Prinzip...

 

Und so verging die Zeit...

 

Und wie es so ist mit der Zeit bleibt nichts, wie es war, egal wie absolut es sich angefühlt hat...

 

Und natürlich hatten alle die "Du musst doch irgendwas TUN, Ugin, das GEHT doch so nicht weiter" sagten recht, es ging so nicht weiter, wirklich nicht. Ich ging zum Arzt, bekam Antidepressiva gegen "solche" Gedanken.  Ich lernte was "ordentliches", tat was "vernünftiges" und hatte keine Zeit für so "sinnlosen" Zeitvertreib wie skurile Gedichte auswendig zu lernen oder zu irgendwelchen Lesungen von Autoren, die niemand außer mir für bedeutend hält, quer durchs Land zu fahren. Und so war ich schön brav und vernünftig, anstatt "sowas" wichtig zu nehmen... und ganz nebenbei... hörte ich auf zu schreiben.

 

Da war es wieder: Nichts zu sagen...

 

Ich war traurig, sehr sehr SEHR traurig sogar. Meine Geschichten waren wie meine Kinder, ich liebte sie alle. Aber es funktionierte so nicht.  Ich konnte nicht 20 Minuten in der Woche wenn es zeitlich gerade passte nach Feierabend an den aufgeräumten Schreibtisch gehen und da mal eben einen destruktiven Text zu einem gewünschten Thema auskotzen um danach wieder brav zu sein. Ich konnte entweder denken, sagen, schreiben, was ich zu denken, zu sagen, zu schreiben hatte, WENN ich es hatte - oder ich konnte es lassen...

 

Und wenn alles WAS ich zu sagen gehabt HÄTTE so düster war, dass man es "eigentlich" nicht laut sagte. Wenn die Gedanken verboten waren, weil sie mich in den Abgrund rissen... nun... dann blieb nur "eben nicht" ... Und so hörte ich auf mit dem schreiben.

 

Traurig? - ja.

Klingt wie ne schlechte Idee? - Sehe ich ein...

Habe ich damals auch schon eingesehen!!! Aber wenn ich die Uni geschmissen, in der Psychiatrie oder auf der Straße versackt wäre, wäre das schätzungsweise auch nicht sooooo toll gewesen und wenn ich vom Unidach gesprungen wäre, statt dort im höchsten Gebäude der Stadt (das für seine Selbstmörder berühmt war) Klausuren zu schreiben, wäre mit den düsteren Kurzgeschichten, die ich so geliebt habe, schließlich auch Schluss gewesen...

 

Man kann nicht alles haben...

 

Ich habe lange Zeit gedacht, dies sei das Ende der Geschichte. Ein Opfer um bei dem Mann zu bleiben, der mich liebt. Stück meiner Seele geopfert. Weg damit, unerwünscht, ungeliebt, abgeschrieben.... Teuer - aber naja. Was ist schon umsonst auf der Welt? Und wenn mein Mann und ich am Strand entlang liefen und das Wasser meine Füße umspülte dann dachte ich manchmal, dass ich es wieder tun würde... Dass mir alles egal ist, solange ich bei ihm bleiben darf... Dass jeder sein Pfund Fleisch opfern muss und dass man eben nicht alles haben kann auf der Welt...

 

Und so ging wieder Zeit ins Land... und während wir versuchten das Beste aus dem zu machen, was wir für dieses grausame Opfer erhandelt hatten - kam der Krebs...

 

Chemotherapie.

 

Es ist völlig aussichtslos zu versuchen hier zu erklären, was das Zeug mit meinem Kopf gemacht hat, jedenfalls bin ich nicht mehr derselbe Mensch...

Es verwirrt mich sehr! Es ist, als sei da ein Bruch. Als wäre ich eines Tages als Mensch ins Bett gegangen und als Rabe wieder aufgestanden. ("Als Ugin eines morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett..." - Ach, ich wünschte, ich hätte Franz Kafka gekannt...)

 

Es ist seltsam aber nicht alle Veränderungen sind schlecht...

 

Und so habe ich mit Erstaunen festgestellt, dass der Krebs mir zusammen mit den "ist nicht möglich, dass es so schlimm ist" Nebenwirkungen, dem "ist nicht angebracht so vor die Tür zu gehen" Aussehen und den "So darfst Du nicht mal denken" Gedanken auch die Worte zurück gebracht hat.

 

Ich schreibe und schreibe...

 

Es sind nur emails, blogposts und wirre Gedanken zur Zeit,

 

Keine Kurzgeschichten. Es ist nicht wie damals, als mir meine Texte alles bedeutet haben, aber immerhin.

 

Das Schweigen ist vorbei und die Worte sind zurück. 

 

*Oh*

 

💗💗💗💗💗

 

Ich dachte sie seien für immer weg...

 

...und auch, wenn ich nicht weiß, was werden soll - so weiß ich etwas anderes: Ich geb sie nicht nochmal her!!!! Ich bin nicht noch einmal still, brav und vernünftig. Wenn hier nichts funktioniert, nun dann bleibt es eben ein heilloses Chaos!!! Ich mache das alles kein zweites Mal!!! Und so gibt es Tage, da bin ich tatsächlich dankbar... Dankbar dem Krebs, der mir so viele Träume und Pläne genommen hat. Dankbar, dass die Chemo mein Gehirn durchgerührt hat, bis nichts mehr zusammenpasste. Dankbar - denn ich hatte sie geopfert und jetzt habe ich sie zurück: Die Worte in meinem Kopf...

 

Und sie trösten mich, wenn hier mal wieder nichts funktioniert. Und sie schreien "NEIN" wenn ich höre, ich müsse nur positiv denken und alles werde fast wieder so wie früher, wenn ich nur lange genug still brav und vernünftig bin!!! Mir ist egal, wenn hier nichts funktioniert. Ich will nichts erreichen, habe alles und brauche nichts. Ich will nur nicht wieder verzweifelt versuchen müssen irgendwelche Gedanken wegzuschieben und zugleich "bessere" Gedanken in meinem Kopf zu finden, die nun einmal nicht darin sind. Ich weigere mich zu raten, was ich denken "soll" während ich nicht sagen darf, was ich zu sagen habe. Ich habe nichts anderes und wer das nicht erträgt, der wird beim Versuch mich zum Umdenken zu bewegen auf Granit beißen. 

Ich gebe die Gedanken und Worte aus meinem Kopf nicht wieder her, mache es kein zweites Mal. Es ist mir egal,wie klug derjenige ist, der es vorschlägt und es ist mir egal, was es mich kostet. Ich mache es nicht, es ist mein allerletztes Wort!!!

 

 

 

 

DAS ist die Geschichte. Aber kommen wir zu der Einstiegsfrage zurück.

 

 

 

"Warum schreibst Du eigentlich?" habe ich damals mit Anfang zwanzig meinen Lieblingsautor voller Ehrfurcht nach einer Lesung gefragt, zu der ich quer durchs Land gefahren war um ihn zu hören. "Ich schreibe, weil ich es kann." hat er geantwortet. Und ich frage mich, ob ich ihn all die Jahre missverstanden habe, als ich dachte das hieße er tue es, weil er stolz auf die Geschichten ist, die er geschrieben hat.

 

Und so kann ich heute mit einem Zitat von ihm enden. Dem Autor, den ich fast fünfzehn Jahre nicht gelesen habe, weil ich nicht wollte, dass er wieder "solche" Gedanken in meinen Kopf pflanzt...

 

Ich schreibe, weil diese Worte und Gedanken zu mir zurückgekehrt sind, die ich so sehr vermisst habe. Weil es mir egal geworden ist, wie unpassend, - ja sogar wie zerstörerisch das ist, was ich denke. 

Weil ich es niemandem abnehmen kann, dass es ihn traurig macht, wenn ich nichts hübsch-positiv-reizendes denke oder schreibe. - Braucht ja keiner zu lesen!

 

Seit dem Krebs fällt mir wieder was ein, ich sitze nicht mehr nur vorm leeren Bildschirm und habe nichts zu sagen.

Und ich weiß welch eine Gnade das ist, weil ich viele Jahre ohne sie auskommen musste. Und jetzt sind sie zurück.

 

Und auch, wenn ich mein Geschreibe natürlich Niemals mit jemandem aus meinem "In DIESER Wohnung nennt man DAS Literatur"-Bücherschrank vergleichen will, kann ich es nicht besser ausdrücken als er und so lasse ich mal wieder jemanden für mich sprechen, den ICH für einen großen Autor halte. (Wen schert es, wenn sonst kaum jemand so denkt?) Weil ich gelernt habe, dass DAS in meinen Augen einen großen Autor ausmacht: Er sagt das, was man selber denkt und fühlt, aber nicht die passenden Worte findet. - Warum auch immer...

 

"Ich schreibe es, weil ich es kann." (Christian von Aster*)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

*Falls jetzt hier jemand losrennt und ihn lesen will weil ich gesagt habe DAS sei Kunst: Dann lest bitte die alten Schätzchen von damals. - Ich kann auch Empfehlungen geben.  Er hat auch viel geschrieben in den vergangenen Jahren, was mich nicht sooo überzeugt hat. Auch ein Autor muss Miete zahlen...

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Kommentare: 1
  • #1

    Kuraj (Donnerstag, 07 Dezember 2017 21:49)

    Ich bin so stolz auf Dich!

    Mehr Worte brauche ich dafür nicht.