#P Wie "Nichts" die Welt verändert...

Niemand ist so hilfreich wie der, der glaubt, dass er nichts tun könne.

 

 

 

Eine Krebsdiagnose ist nicht nur ein Schock für den Patienten. Auch das Umfeld steht da wie der Ochs vor'm Berg, will irgendwas helfen und weiß nicht was.

 

 

 

Und soll ich Euch was verraten? DAS ist garnicht SO weit weg davon, wie sich eine frische Krebsdiagnose anfühlt (also für MICH jedenfalls):

 

 

 

Man will irgendetwas tun. Jetzt sofort!!!!!! Egal was, egal wie schlimm / teuer / aufwendig / dämlich.... Es muss doch was geben. Los los, sag schon? Radikale Operation? Haare ab? Chemo mit 6Monaten Dauerkotzen? Soll ich nie wieder Zucker und Kohlenhydrate essen, eine Familienaufstellung machen oder in die Kirche eintreten? Soll ich auf die Suche nach einem Knochenmarkspender gehen oder 100.000 Papierkraniche falten?

 

 

 

WAS????

 

 

 

Und die grauenhafte, banale, dämliche Antwort ist: abwarten.

 

 

 

Man soll "abwarten". "Ruhe bewahren", während man Adrenalin für 10Marathonläufe hätte, während es um's eigene Leben geht. Man soll sich "nicht verrückt" machen, während kein Termin frei ist. Während Wochenende ist. Während Proben im Labor sind und während irgendwelche Zellen unter irgendwelchen Mikroskopen entscheiden, ob gleich ALLE Zukunftspläne und Träume, die man je hatte in die Mülltonne gehören? Oder doch nur die Hälfte....

 

 

 

"Das Schlimmste ist das Warten." man liest es überall und ich habe es auch so empfunden. Wenn man wenigstens etwas TUN könnte, stark sein, kämpfen, IRGENDWAS konstruktives... anstatt rumzusitzen und sich wieder und wieder auszumalen, WIE grauenhaft es werden könnte. - Und jedesmal wieder zu dem Schluss zu kommen, dass es SEHR grauenhaft werden könnte...

 

 

 

"Können wir etwas tun?" bin ich gefragt worden, in Zeiten, in denen ich meine Niere oder meine Altervorsorge dafür gegeben hätte SELBST etwas tun zu können... ganz egal was...

 

 

 

"Ich wüsste nichts..."

 

 

 

Also war die Frage falsch? - Nein. Ganz und gar nicht! Es gibt "nur" keine Antwort. Trotzdem ist es nett und der richtige Ansatz. Und so habe ich festgestellt, dass die Menschen, die wussten, dass man "eigentlich" nichts großartiges tun kann und bereit waren DIESES dumme Gefühl zu ertragen, die waren, die mir am meisten geholfen haben. Sie strickten Socken und schickten Grüße. Kamen zum Kaffee und luden mich ein. Sie liehen uns das Auto, zeigten sich mit mir in der Öffentlichkeit, fuhren mich nach Hause und schickten Fotos. Sie gingen nicht weg, ließen mich in ihrer Küche herum kramen, wenn ich plötzlich Leinsamenschleim brauchte, oder gingen einkaufen wenn ich auf die unmöglichsten Dinge Hunger bekam. Sie freuten sich von mir zu hören - sogar wenn es nichts zu erzählen gab, ertrugen mein Gejammer und meine Stimmungsschwankungen und mochten mich trotzdem. Sie kamen mich besuchen und sie fanden mich nicht so belastend, dass sie den Kontakt abbrachen. Sie taten "Nichts" und dieses "Nichts" veränderte die Welt...

 

 

 

Als ich von meiner Krebsdiagnose erzählte, fand ich zwei Reaktionen richtig richtig klasse. Mein Mann sagte "Ich liebe Dich." und meine Freundin schrieb "Was für eine Scheiße!" Damit war für mich alles gesagt. Trotzdem behaupte ich, dass jede email, jede SMS, jede WhatsApp etwas verändert hat. Weil es nicht "nichts" war. Sondern das, worauf meine Welt zusammen geschrumpft war. Auf diese - ihre - Nachrichten.

 

 

 

Und so kam es, dass wundersamerweise - und ich weiß selbst nicht wie - Menschen, die "nichts" tun konnten, mir die Welt bedeutet haben...

 

 

 

Damals habe ich mir vorgenommen, DAS den Angehörigen da draußen zu erzählen, die verzweifeln und glauben, sie könnten nichts tun, während SIE es doch sind, die den Unterschied machen!!! Weil man FÜR SIE und DURCH SIE nicht hinwirft!!! Für SIE und DURCH SIE alles erträgt!!! Für SIE und DURCH SIE "klar, kann ich das!" antwortet, ob es nun wahr ist oder nicht und durchhält, ob man nun kann oder nicht. Um noch einmal das zusammen zu tun, was man früher nicht einmal als besonders spektakulär empfunden hat. Weil es "nur" Alltag war...

 

 

 

Also, Angehörige, hört Ihr mich????? Es kann sein, dass IHR jetzt gerade den Unterschied macht!!!! Während Ihr Euch sooooo hilflos fühlt!!!! ALSO BLEIBT STARK!!! Es ist nicht wahr, dass Ihr nichts tun könnt, nur wahr, dass es sich so anfühlt!!! Und DIESES Gefühl zu ertragen und tapfer weiter zu machen, DAS ist es, was Ihr tun könnt!!!!!

 

 

 

Ich hab den Eindruck, das wird nicht oft genug gesagt. - Dabei wär's  mir wichtig...

 

 

 

Vielleicht erzählt Ihr es rum.

 

 

 

Denn ich habe nach wie vor Zweifel, ob ich die Chemotherapie durchgehalten hätte. Ohne die, die doch "gar nichts getan" haben...

 

 

 

Kommentare: 1

 

  • #1

 

Eule Nr. 1 (Samstag, 25 Februar 2017 21:32)

 

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Liebe Eule Nr. 2,

Danke für deine Worte. Ja, das ist es
- das Ungeld ist so wichtig. Austauschen, umarmen, Freund sein, Diskussion, Spazieren, Film schauen... aneinander glauben, da sein, Hand halten. Für mich war es der Glauben, die kl. Chemoevents, Karten, die kleinen Sonnenstrahlen im Alltag.

Es war nicht die Angst in den Augen, es war auch nicht derjenige, der sich nicht mehr meldet oder mir gar sagt- Meld dich, wenn der Kampf vorbei ist- es war der, der sagt- eulchen, auf geht's - hab das Ziel vor Augen! Du kannst wieder gesund werden.

Das Wichtigste ist, dass Kontakt gehalten wird. Dass der Mensch einbezogen wird, so wie er grad ist.

Danke für den tollen Post!!