#7 Let's (not) talk about...

Sex. Man kann nicht den Fernseher einschalten, ohne dass ein Paar auf dem Bildschirm übereinander herfällt.

 

Kann nicht den Spam-Ordner leeren ohne 5 Werbemails für Viagra und Penisverlängerung vorzufinden und kann keine Innenstadt betreten, ohne an Beate Uhse und ihren Leuchtreklamen vorbeizukommen.

 

Sex.

 

Es ist nicht so leicht dazu zu stehen, wenn man ihn hat („Was hast Du gestern noch so gemacht?“ – „Och, nix besonderes. Ich war bei Aldi, hab Wäsche gewaschen, hatte Sex und bin dann eingeschlafen.“ – Schonmal gehört? – Nein? - Eben.) – aber erst recht will man nicht zugeben, wenn man ihn NICHT hat. („Also, wir haben ja schon länger sexuelle Probleme“ – Auch noch nie gehört? – Tja…)

 

 

Sex.

 

Das Gespenst im Schlafzimmer.

 

Ich glaube, dass dieses „Let`s NOT talk about Sex“ Prinzip unheimlich weit verbreitet ist. Trotz (oder gerade WEGEN?) ständiger Berieselung mit irgendwelchen Anzüglichkeiten in einer Penetranz und Weise, dass man manchmal das Bedürfnis hat der Werbung einen Keuschheitsgürtel zu verpassen, weil es wirklich wirklich wirklich nervig ist.

 

Und so will ich dem ewigen Reigen aus Viagra/Penisverlängerung/BeateUhse/Sexhotlines/und what the f*** Sexthemen des Internets mal eine weitere Facette hinzufügen, denn:

 

 

 

Ich denke beim Sex an Krebs.

 

 

 

Alles begann an einem Samstag. Beim Sex. Mein Mann tastete beim Sex den Knoten in meiner linken Brust und wenn Ihr mich jetzt fragt, ob ich da beim Sex noch gelegentlich dran denke – dann ist die Antwort „Nein“. Ich denke da nicht GELEGENTLICH beim Sex dran – sondern immer. Ich denke beim Sex an Krebs. Jedes mal.

 

 

 

Ich denke beim Sex an Krebs. Meine linke Brust ist operiert. Meine OP Narbe ist die schönste, die ich bisher bei Krebs-Freundinnen gesehen habe. Sie ist so unauffällig, dass eine Freundin sie trotz Suchens nicht finden konnte. Herzlichen Dank, Herr Dr. K*** das ist wirklich schön geworden. Trotzdem ist die Narbe da. Immer. Auch beim Sex. Sie verschwindet nicht beim Ausziehen um hinterher wieder da zu sein, sondern sie ist die ganze Zeit dort. Meine linke Brustwarze ist weniger empfindlich als die rechte und so spüre ich es bei jeder Berührung: DORT saß der Tumor. Ich denke beim Sex an Krebs. Jedes mal.

 

 

 

Ich denke beim Sex an Krebs. Wollt Ihr wissen, wie viele Männer mich in meinem Erwachsenenleben bis Februar 2016 im Intimbereich berühren durften? – Drei.

 

Und wollt Ihr wissen, wie viele es seitdem durften? – Würde ich auch gern wissen. Die Wahrheit ist, dass ich mich nicht erinnern kann. Ich WEIß nicht, wer von den ganzen Ärzten bei welchen Untersuchungen dabei war – ich war zu weggetreten und zu vollgedröhnt, um es zu realisieren. Ich WEIß nicht mehr, wer alles „mal eben“ Brust fühlen, Narbe sehen oder „noch`n Ultraschall“ in der Scheide stochern wollte. Ständig hieß es „machen Sie sich mal oben rum frei – unten rum frei – nochmal oben rum – nochmal für Prof xyz…“ Dauernd kam jemand der „Blutet es SEHR stark, zeigen Sie doch mal kurz?“ irgendwas überprüfen wollte. Die Chemo hat diese Erinnerung geschluckt. *weg*

 

Ich will mich nicht beschweren, ehrlich nicht. Meine Intimsphäre ist nun wirklich weniger wichtig als mein Leben und ich war 2016 wirklich wirklich WIRKLICH nicht in der Stimmung da irgendwie kleinmädchenhaft kichernd irgendwelche Blößen bedecken zu wollen. Es wäre mir unpassend, albern und dem Ernst der Lage nicht angemessen erschienen. Das war schon okay, ich bin hart im Nehmen…

 

Es ist nur… Ich denke beim Sex an Krebs. Jedes mal.

 

 

 

Ich denke beim Sex an Krebs. Das klingt jetzt wahrscheinlich dumm, aber ich hatte früher das Gefühl mich zu verschenken, beim Sex. „Das ist alles für Dich“ habe ich manchmal gesagt. „Du kannst alles von mir haben, was Du willst.“ Als wären für die Dauer des Geschlechtsverkehrs alle Regeln von Emanzipation und Feminismus außer Betrieb. Als ginge das: Den eigenen Körper verschenken.

 

Der Krebs hat mir dieses Gefühl genommen, weil mein Körper nicht länger mir gehört. Und einen Körper, der mir nicht gehört, den kann ich auch nicht verschenken. Und so denke ich beim Sex an Krebs. Jedes mal.

 

 

 

Ich denke beim Sex an Krebs, weil ich den Sex nun einmal mit demselben Körper habe, der die Therapie durchmachen musste. Mit diesem Körper, der wie ein vergiftetes Stück Fleisch überm Klo hing. Der trotz Vollbad so sehr nach Chemo stank, dass ich von dem Geruch brechen musste und um den die Hunde in der Stadt einen Bogen machten. (Glaubt Ihr nicht? Es gibt Zeugen für diese Hundegeschichte!) Mit diesem Körper, der mich weiß und aufgedunsen an einen Giftschrank oder eine Wasserleiche erinnerte. Diesem Körper, der nur noch torkeln und lallen konnte, während das Gehirn seinen Dienst verweigerte. Wer soll an DIESEM Körper denn Freude haben??? Und was für ein Zeichen von Liebe soll es sein, jemandem DIESES Stück Fleisch zuzumuten? Ich denke beim Sex an Krebs. Jedes mal.

 

 

 

Ich denke beim Sex an Krebs. Die Eierstöcke sind künstlich lahmgelegt, die Hormone blockiert. Wechseljahre mit 38. Die Schleimhäute sind trocken, ich bin müde und lustlos, der Zyklus ist ausgeschaltet, ich bin enger, trockener, das Empfinden ist schwächer. Wo ich früher über Verhütung oder Fruchtbarkeit, über Kinderwunsch – oder Nicht-Kinderwunsch nachdenken musste, ist DAS plötzlich kein Thema, für MICH gelten jetzt die Tipps für Frauen in / nach den Wechseljahren. Ich fühle mich alt und verbraucht, als sei meine Jugend vorbei. Ich denke beim Sex an Krebs. Jedes mal.

 

 

 

Ich denke beim Sex an Krebs und das blockiert den Kopf. Ich habe dann erst recht keine Lust, nur schlechtes Gewissen, dass mein armer Mann, der doch was BESSERES als mich verdient hat jetzt ZUSÄTZLICH nicht mal ein bisschen Sex von mir bekommen soll? Der Arme… und natürlich hat mein Mann auch keine Lust auf eine Frau, die heulend mit zusammen gebissenen Zähnen die Beine breit macht und natürlich ist es für ihn auch nicht leicht und natürlich gibt es dann Streit und Unmut und natürlich haben wir hinterher BEIDE das Gefühl alles falsch zu machen… Ich denke beim Sex an Krebs. Jedes mal.

 

 

 

Ich denke beim Sex an Krebs und ich denke, dass es nicht einfach ist.

 

Ich denke beim Sex an Krebs und ich denke, dass wir was Besseres verdient haben.

 

Ich denke beim Sex an Krebs, ich bin wehleidig und genervt und tue mir selber leid, was der Krebs in meinem Sexleben verloren hat…

 

 

 

Aber neulich… neulich sprach ich mit einer Freundin über Sex und Krebs. Und sie hat beim Sex die Perücke aufgelassen, damit ER ihre raspelkurzen Haare nicht sah. Sie hat das Licht ausgemacht, weil ER die Narbe hässlich fand und sie versucht das Gleitmittel immer möglichst unauffällig aufzutragen, damit ER sich davon nicht gestört fühlt.

 

 

 

Und plötzlich wusste ich: Alles ist gut. Das sind doch alles keine ECHTEN Probleme, die ich da habe. MEIN Mann LIEBT mich. Er probiert mit mir mit den Gleitmitteln rum. ER findet die Narben viel WENIGER störend als ich. IHM waren Haare, Brüste, ja sogar der Sex doch letztlich egal. Er wird nichts tun, wobei ich Schmerzen habe, wird nichts wollen, was mir nicht gefällt und ich kann mich so hässlich finden, wie nur was – er wird schwören, mein Lächeln könne mir keiner nehmen – und es sei das schönste der Welt. ER ist nicht der Meinung, dass mein Körper zweite Wahl ist – ist nur froh, dass der Körper noch da ist. Er will mich immer noch. Und er und ich werden so lange weiter Geduld haben und üben und ausprobieren, bis es besser ist. Bis wir den Sex wieder richtig genießen können. Wie früher – oder ganz anders. Er und ich.

 

 

 

Ob ich durch den Krebs sexuelle Probleme habe? – Ach… nicht wirklich.